Heute möchte ich über ein Thema schreiben, welches mal nicht direkt mit irgendwelchen gesundheitlichen Problemen der Kinder zu tun hat.
- freiheitsentziehende Maßnahmen
Wie viele von Euch wissen, müssen Jana und Fabian ja auch ihre Schulpflicht erfüllen und gehen in das Blindeninstitut Rückersdorf zur Schule. Fabian besucht am Nachmittag auch noch die dortige Tagesstätte. Beide Kinder gehen dort gerne hin und fühlen sich sehr wohl. Vor einigen Wochen kam die Schulleitung auf uns zu und teilte uns mit, dass seit 2017 im BGB das Thema „freiheitsentziehende Maßnahmen“ neu geregelt wurde und jetzt auch Jana und Fabian davon betroffen sind. Wer jetzt denkt, dass wir unsere Kinder Abends immer im Keller wegsperren, der irrt. Hier geht es um den Sicherheitsgurt am Rollstuhl, die Klettbänder an Janas Stehständer und die Bettgitter an den Pflegebetten. Also um Hilfsmittel, um die wir teilweise lange Zeit gekämpft haben, die vom Arzt verordnet wurden, die der Medizinische Dienst der Krankenkassen geprüft und die von der Krankenkasse letztendlich genehmigt wurden. Damit diese Hilfsmittel ordnungsgemäß verwendet werden dürfen, bedarf es jetzt einer richterlichen Genehmigung. Ja Ihr habt richtig gelesen, ein Richter muss jetzt entscheiden, ob in der Schule die Betreuer den Sicherheitsgurt am Rollstuhl schließen dürfen oder nicht.
Ich arbeite ja selber in einem Beruf, der von Gesetzen geprägt ist, aber hier geht meine Birne irgendwie nicht mehr mit. Nachdem wir ja aktuell durchaus andere Sorgen und Probleme haben, wurde der von der Schule vorbereitete Antrag einfach nur an das Amtsgericht weitergeleitet, in der Annahme, dass hier nur ein Standardverfahren angestoßen werden muss und die Schule eine entsprechende Erlaubnis bekommt. Zuvor musste aber erst noch der Kinderarzt eine entsprechende Stellungnahme schreiben (der Doc hat sich riesig gefreut). Nachdem alle Papiere zusammengetragen und an das Gericht geschickt wurden, ging es los.
Wir erhielten insgesamt 5 Briefe mit je 7 Seiten (für alle Prozessbeteiligten) und eine Ladung zu einem Gerichtsverfahren vor dem Amtsgericht Fürth am 28.02.19. Doch damit nicht genug. Eine gute Woche vorher musste sich eine uns als Rechtsbeistand zugewiesene Rechtsanwältin in einem Vororttermin von der Notwendigkeit unseres Antrags überzeugen und eine entsprechende Stellungnahme ans Gericht schreiben. Das Jugendamt wurde zeitgleich ebenfalls informiert. Was sind wir nur für Eltern.
Nachdem sich unsere Gemüter ein gaaaaanz kleines bisschen beruhigt hatten, gingen wir also zur Fleischbeschau unserer Kinder ins Amtsgericht nach Fürth. Am Eingang erwarteten uns die üblichen Sicherheitskontrollen, am Gerichtssaal war ein Schaukasten angebracht, in dem öffentlich sichtbar alle Verhandlungen des Tages ausgehängt waren. Gut so, jetzt kann sich das an unseren Termin anschließende Scheidungspärchen ein genaues Bild von den Eltern machen, die mit dem Richter über „freiheitsentziehende Maßnahmen“ verhandelt haben. Naja, der Postbote wird sich auch seinen Teil denken, wenn er Sachen vom Gericht in den Briefkasten wirft.
Die „Verhandlung“ an sich war eigentlich genau so zu erwarten. Der Richter war wirklich ausgesprochen nett, kann aber ja letztendlich auch nix gegen diesen Schmarren tun. Laut Gesetz müssen die Voraussetzungen für diese Maßnahmen alle 6 Monate geprüft werden, bei bestimmten medizinischen Voraussetzungen einmal pro Jahr. Ich hatte schon kurzfristig 3 Tage Urlaub schwinden sehen, da ja immer die komplette Familie auflaufen muss. Der Richter wird aber eventuell in einem Jahr nach Aktenlage und Gutachten des Kinderarztes entscheiden. Glücklicherweise konnten wir noch eine Korrektur mündlich anbringen, so dass das Bettgitter nicht neu verhandelt werden muss. Da dieses in der Schule nicht notwendig ist, hatten wir das natürlich auch nicht mit beantragt. Was noch nicht ganz klar ist, war die Frage, ob die richterliche Anordnung nur für die Schule oder auch für andere Einrichtungen gilt. Da wir Ende April für ein paar Tage ins Hospiz nach Bad Grönenbach (bei Memmingen) fahren wollen, müssen wir für den Aufenthalt dort ebenfalls diese freiheitsentziehenden Maßnahmen (diesmal mit Bettgitter) beantragen – natürlich beim Amtsgericht in Memmingen. Die Fleischbeschau findet dann am ersten Tag unseres Aufenthalts statt.
Nach knapp 30 Minuten war der Spass dann vorbei und wir um eine Erfahrung reicher. Falls sich jemand wundert, warum die Gerichte so überlastet sind – wir, die Eltern von behinderten Kindern, sind schuld. minima non curat praetor (das Gericht kümmert sich nicht um Kleinigkeiten) 🙂
… und nein, es ist nicht der 1. April – das ist Teil unseren Alltags. So long.